Donnerstag, 7. Juli 2005

rettung aus dem paradies

das waren noch zeiten.
eine leicht besorgt klingende stimme ertönte, nachdem es im lautsprecher vernehmlich knackte.
und das knacken führte schon dazu, dass man sofort erkennen konnte, wer inmitten der massen, die sich durch die grossen möbelhäuser drängten, einen stammhalter oder eine miniprinzessin in die welt gesetzt hat.
besorgte blicke machten sich von bettkonstruktionen und schrankwänden los, ehefrauen traten ihren gatten fest auf den fuss, der immernoch lamentierte, warum kirschholz unter umständen vorteilhafter wäre als gelaugtes kiefernholz. sie zischte "sei doch mal leise, schatz", zwei ohrenpaare lauschten angestrengt, ob es sich um ihr kind handelte, welches dringend aus dem kinderparadies abgeholt werden wollte.
manchmal mischte sich lachen von umstehenden personen unter die freundliche lautsprecherstimme, die kuriose kindernamen offerierte.
das waren noch zeiten, als die finns und patricks, die leas und ann-sophies persönlich ausgerufen wurden. sehnsucht nach mütterlichen rotzfahnen, väterlichen händen, flucht aus bällebad und kinderkino.

vorbei die guten, alten zeiten.
gestern betrat ich eines der allseits bekannten schwedischen möbelhäuser, um mit einer freundin ein regal für die küche zu kaufen und das berühmt-berüchtigte kotbullar-wettessen zu veranstalten, aus dem ich seit jahren als ungeschlagener sieger hervorgehe.
meine vierjährige tochter zog mich aufgeregt und konsequent in richtung der bunten glaswände, hinter denen sich all die dinge befanden, die ein kinderherz höher schlagen lassen.
ein tresen trennte uns vom bunten paradies, bewacht von zwei ältlichen, graugelockten drachen, die mürrisch dreinblickend die kinder reinwinkten, welche ordnungsgemäss ihre schuhe im nummerierten schliessfach verstaut hatten, einen marienkäferaufkleber mit namen und schranknummer am pullover trugen und deren erziehungsberechtigen den korrekt ausgefüllten zettel mit adresse, telefonnummer und namen einer etwaigen begleitperson, die ebenfalls zur abholung durch unterschrift berechtigt wurde, abgegeben hatten.
ohne die mundwinkel nur einen zentimeter nach oben zu verziehen, um so die andeutung eines lächelns zu versuchen, knurrte der ältere drachen der beiden kinderparadies-bewacherinnen die schlange aus müttern, vätern und kindern an, dass ja bitte keiner vergessen solle, seine postleitzahl auf dem zettel zu vermerken, anderweitig würde man die reibungslosigkeit des ablaufes behindern. ich musste mich sehr zurückhalten, um nicht zu brüllen, dass mir klar sei, dass ein "sesam, öffne dich!" vermutlich nicht ausreichen würde, um die geheiligten hallen der plastikbälle zu betreten. dieser ausruf hätte mir nichts genützt, ein fauchen der beiden drachen hätte mich vermutlich zu heisser asche pulverisiert und ich hänge an meinem leben und möchte meine kleine nicht als waise in einem schwedischen möbelhaus zurücklassen, wo sie dann den rest ihres kurzen lebens lachs, kotbullar und waffeln essen muss und bei aufmüpfigkeit und ausreichener fleischbällchenmast letztendlich als drachenfutter endet.
der klapptresen wurde geöffnet, meine tochter entschwand, zurück blieben meine freundin, korrekt eingetragen als zusätzliche abholerin samt unterschrift, meine wenigkeit und ein drache, der mir mit schuppigen händen einen pieper in die hand drückte, der im notfall (kind vom drachen der arm abgebissen, brandverletzungen durch feuerspeien, schwefelvergiftung und andere eventualitäten) sechsmal fiepen sollte und eine nummer anzeigte, die einen zur sofortigen rückkehr in den schwedischen kinderhochsicherheitstrakt animieren sollte, wenn man sein kind lebend in die arme schliessen wollte.
ich drehte mich gerade um, liebäugelte bereits mit preiselbeersauce und mandeltorte, als ein feuriger atem mir beinahe meine nackenhaare versengte: "geben sie mir ihren personalausweis". ich leistete dieser aufforderung sofort folge. erstaunlicherweise bekam ich mein wichtigstes dokument umgehend zurück, so dass ich endlich mit meiner freundin von diesem unseligen ort entschwinden konnte.
stunden des konsum-glückes breiteten sich vor uns aus, die schlacht am buffet gewann ich erneut reibungslos, die möbelabteilung passierten wir mit dem obligatorischen sofa-test-hüpfen, schreibtischstuhl-wettdrehen, dem mittagsschlaf in allen betten und ausserdem hinterliessen wir unsere fettigen, fleischbällchenerprobten fingerabdrücke an jedem regal, was unseren weg kreuzte.
gerade gelangten wir in die kleinkramabteilung, die jedes frauenherz höher schlagen lässt, weil man IMMER irgendetwas findet, womit man seine küche oder das badezimmer noch bereichern kann, da ertönte warnend ein piepen in meiner tasche.
seufzend erklärte meine freundin sich bereit, die kleine zu retten, nahm pieper und schrankschlüssel an sich und entschwand in der menge der glücklich lächelnden konsumenten.

zwanzig minuten später kehrte sie zurück, der inhalt unseres einkaufswagens hatte mittlerweile schwindelerregende höhen erreicht, die ich weiss gott nicht länger alleine hätte bewältigen können, so dass ich froh war, dass sie mir wieder beim schieben helfen konnte.
nun, sie kehrte zurück, aber allein. kein kind an ihrer hand, dafür ein genervter blick, der mich das schlimmste fürchten liess. hatte sie zu lange gebraucht, waren die drachen hungrig geworden und hatten die kleine verspeist, in der hoffnung, dass niemand zurückkehren würde, um das kleine unschuldige mädchen aus ihren klauen zu befreien?
zu meiner erleichterung hörte ich, dass ihr das kind zwar lebend gezeigt, aber nicht ausgehändigt wurde, weil sie dreisterweise nicht bei der übergabe am anfang ihren personalausweis gezeigt hatte, anstattdessen knurrte einer der drachen hähmisch die kleine an "du kannst nicht mit deiner mutti mitgehen".
meine freundin erklärte mit todesverachtung, dass sie nicht die mutter sei, sondern dass sie auf dem abholzettel mit namen und unterschrift vermerkt sei und gerne ihren ausweis vorzeigen würde, damit die drachen verifizieren können, dass name der abholperson mit namen auf dem aufweis übereinstimmen würde.
doch alles betteln und flehen half nichts, die kleine musste in der drachenhöhle bleiben und meine freundin unverrichteter dinge abziehen.

zu diesem zeitpunkt wünschten wir uns beide einen edlen ritter zu pferde, unerschrocken, ohne furcht und tadel, der heidiheido und hoppsalla ins kinderparadies galoppieren würde, um den beiden drachen mittels seines schwertes die köpfe abzuhacken und diese auf seiner lanze aufgespiesst als trophäe zu uns zurückbringen würde, so dass wir danach alle armen kinder befreien und zu ihren sorgenzerfressenen eltern zurückbringen könnten.
von einem erneuten piepen wurden wir unsanft aus unseren heroenhaften träumen gerissen, jetzt galt es zu handeln und schweren herzens machte ich mich auf den weg,

hinter dem klapptresen stand meine tochter, die augen weit aufgerissen, als sich die drachen vor mir aufbauten und zähnefletschend erneut meinen ausweis verlangten.
panik machte sich in mir breit, hatte ich mein portomonaie nicht im einkaufswagen liegen lassen? nein, ich hatte einige scheine in die hand meiner freundin gedrückt, damit sie an der kasse zahlen konnte, mein geldbeutel fand sich nach einigem wühlen in meiner tasche und somit hatte ich die karte, die meine kleine in die freiheit führte, zum glück dabei.
schlimmer erging es einem netten vater, der von seinem sohn mit begeisterten "papa, papa!"-rufen begrüsst wurde, sein ausweis befand sich in der tasche seiner frau, die irgendwo in den weiten des möbelgeschäftes auf eine familienzusammenführung hoffte.
er musste unverrichteter dinge von dannen ziehen und auch die rufe seines sohnes erweichten die drachenherzen nicht.

ich möchte an dieser stelle betonen, dass eine gewisse absicherung seitens des möbelgeschäftes sicherlich allen zu gute kommt, denn keiner möchte, dass sein kind von jedem x-beliebigen mitgenommen werden kann, aber was die beiden drachen dort zelebrierten, ging definitiv zu weit.
ich frage mich, was passiert, wenn jemand trotz ausgefüllten zettels, piepers, schrankschlüssels und eindeutiger zugehörigkeit zum kind seinen ausweis verliert?
müssen die kleinen dann bis zur ausstellung eines ersatz-dokumentes auf irgendeinem beddinge, tromsnes, ottenby oder bangsund dahinvegetieren?

ich für meinen fall habe beschlossen, dass die kleine beim nächsten mal als ehrenmitglied in die kotbullar-wettessen-runde aufgenommen wird, eisessen bis zum umfallen inklusive.

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KleinesF - 8. Jul, 11:40

Ingvar Kamprad ist der reichste Mann der Welt. Daher braucht er auch gefährliche Drachen, die das liebste bewachen, was er hat.

SirDregan - 2. Aug, 16:26

seine Bälle?

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